Zwei Seiten einer Medaille

Niemand ist nur gut oder schlecht / schwach oder stark

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Als psychologische Beraterin spreche ich in meiner Praxis oft mit meinen Klientinnen über das Thema Stärke und Schwäche. Besonders Frauen stehen häufig unter dem gesellschaftlichen Druck, einer bestimmten Vorstellung von Stärke zu entsprechen – unabhängig davon, wie sie sich tatsächlich fühlen. Disney-Filme bieten interessante Einblicke in dieses Spannungsfeld, denn ihre Heldinnen und Bösewichtinnen verkörpern oft gegensätzliche, aber eng miteinander verbundene Facetten menschlicher Emotionen und psychischer Gesundheit.

Disney-Prinzessinnen stehen oft für Mut, Freundlichkeit und Durchhaltevermögen. Doch ihre Gegenspielerinnen – die Bösewichte – sind nicht selten ebenso vielschichtige Figuren. Was wäre, wenn Heldinnen und Bösewichtinnen gar nicht so verschieden wären? Und wie beeinflussen ihre Geschichten unser Verständnis von Mental Health?

Die Heldin: Elsa – Isolation und Selbstakzeptanz

Elsa aus Die Eiskönigin ist eine der komplexesten Disney-Heldinnen. Ihre Reise dreht sich nicht um romantische Liebe, sondern um Selbstakzeptanz und den Umgang mit emotionalen Herausforderungen. Elsas Fähigkeit, Eis und Schnee zu kontrollieren, ist ein Symbol für ihre unterdrückten Emotionen. Jahrelang lebt sie in Angst, ihre Kräfte könnten anderen schaden, und isoliert sich dadurch selbst. Erst als sie ihre wahre Natur annimmt, beginnt ihre Heilung.

Elsas Geschichte kann als Metapher für mentale Gesundheitsprobleme wie Angststörungen oder Depressionen gesehen werden. Studien zeigen, dass Selbstakzeptanz und soziale Unterstützung wesentliche Faktoren für psychisches Wohlbefinden sind. Eine Untersuchung von Wood et al. (2008) betont, dass Selbstakzeptanz mit einem höheren Maß an Lebenszufriedenheit und weniger psychischem Stress verbunden ist. Elsas Entwicklung zeigt, wie wichtig es ist, sich selbst zu akzeptieren und Hilfe anzunehmen, um mentale Gesundheit zu fördern.

Die Bösewichtin: Maleficent – Schmerz, Wut und Isolation

Auf den ersten Blick erscheint Maleficent aus Dornröschen als klassische Antagonistin: kalt, rachsüchtig und scheinbar ohne Mitgefühl. Doch ein Blick hinter ihre Geschichte – insbesondere in der Neuinterpretation mit Angelina Jolie – offenbart eine tief verwundete Seele. Maleficents Handlungen entspringen Schmerz, Verrat und dem Gefühl, ausgeschlossen zu sein.

In Maleficent – Die dunkle Fee erfahren wir, dass sie einst liebevoll und freundlich war, bis sie von einem geliebten Menschen verraten wurde. Dieser Verrat führte zu ihrem tiefen Misstrauen und ihrer Wut. Ihre Geschichte ist ein Beispiel dafür, wie traumatische Erlebnisse Menschen prägen und sie auf einen dunklen Pfad führen können, wenn sie keine Unterstützung erhalten. Forschungen zu den langfristigen Auswirkungen von Trauma, wie die Studie von van der Kolk (2014), zeigen, dass unverarbeitete Traumata zu Verhaltensweisen führen können, die als destruktiv oder feindselig wahrgenommen werden.

Gesellschaftliche Wahrnehmung von Stärke und Schwäche

Interessant ist, wie die Gesellschaft Heldinnen und Bösewichtinnen unterschiedlich wahrnimmt. Stärke wird oft mit Kontrolle, Durchsetzungsvermögen und Unabhängigkeit gleichgesetzt. Elsa durchläuft eine Phase, in der sie ihre Isolation als Form der Selbstbeherrschung sieht, bevor sie erkennt, dass wahre Stärke in der Fähigkeit zur Verbindung mit anderen liegt. Maleficent hingegen entspricht lange Zeit dem gesellschaftlichen Bild einer „starken“ Frau: unnachgiebig, entschlossen und furchteinflößend. Doch ihre emotionale Verletzlichkeit wird als Schwäche gesehen und von ihrer Umwelt nicht akzeptiert.

In der Realität führt dieser gesellschaftliche Druck oft dazu, dass Menschen ihre Emotionen unterdrücken, anstatt sie zu verarbeiten. Studien zeigen, dass der soziale Umgang mit Emotionen beeinflusst, wie Menschen ihre eigene mentale Gesundheit wahrnehmen. Eine Studie von Kashdan et al. (2015) verdeutlicht, dass das gesellschaftliche Stigma rund um emotionale Verwundbarkeit häufig dazu führt, dass Menschen Hilfe vermeiden, obwohl sie sie dringend benötigen.

Zwei Seiten derselben Medaille

Sowohl Elsa als auch Maleficent sind Frauen, die sich nach Liebe und Zugehörigkeit sehnen. Der Unterschied liegt in ihrem Umgang mit Schmerz und Zurückweisung. Während Elsa durch Selbstakzeptanz und die Unterstützung ihrer Schwester Heilung findet, wird Maleficent von ihrem Schmerz überwältigt und reagiert mit Wut und Isolation.

Mental Health spielt in beiden Geschichten eine zentrale Rolle. Elsas Entwicklung zeigt, wie wichtig Resilienz und soziale Unterstützung sind. Maleficent hingegen verdeutlicht, wie ungeheilter Schmerz und unverarbeitete Traumata zu destruktivem Verhalten führen können. Die American Psychological Association (APA) betont, dass emotionale Unterstützung entscheidend für den Heilungsprozess nach Traumata ist.

Niemand ist nur Held oder Bösewicht

Disney-Filme zeigen oft ein klares Gut-Böse-Schema, doch wenn wir genauer hinschauen, sind die Grenzen fließend. Sowohl Heldinnen als auch Bösewichtinnen sind von ihren Erfahrungen geprägt. Ihre Geschichten können uns lehren, wie wichtig es ist, mentale Gesundheit ernst zu nehmen – und dass jeder von uns das Potenzial hat, entweder zu heilen oder in Verbitterung zu versinken.

Welche Figur spricht dich mehr an – Elsa oder Maleficent? Und was können wir aus ihren Geschichten für unseren eigenen Umgang mit Mental Health lernen?

Sylvia Wichmann

Mail: s.wichmann@psychologische-beratung-list.de

Telefon: 01575 2567346

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30177 Hannover/List