Kontrolle und Vertrauen
was wir von Heidi und Klara lernen können
Zwischen Heidi und dem echten Leben – was wir über Überforderung und Heilung lernen können
Manchmal hilft ein Kinderbuch, um das echte Leben besser zu verstehen.
Wenn ich als Mutter oder Beraterin an meine Grenzen stoße – und das passiert öfter, als ich zugeben mag – dann denke ich an Heidi. Nicht an die süße, kindliche Idylle, sondern an die tiefere Geschichte, die darin steckt. An Klara, das Mädchen im Rollstuhl. An Heidi, das Naturkind aus den Bergen. Und daran, wie beide sich gegenseitig heilen – ohne es zu wissen.
Denn was dort erzählt wird, ist aktueller, als wir glauben.
Warum saß Klara wirklich im Rollstuhl?
Klara ist nicht wegen einer klaren organischen Erkrankung gelähmt. Heute würden wir bei ihr von einer Konversionsstörung sprechen – eine Form der psychosomatischen Reaktion, bei der sich seelische Konflikte über den Körper ausdrücken.
Die Symptome sind echt – Lähmung, Erschöpfung, Schwäche – aber sie haben keine erkennbare körperliche Ursache. Stattdessen wirken sie wie ein Ausdruck innerer Überforderung, emotionaler Hilflosigkeit, nicht gelebter Gefühle.
Klara lebt behütet, aber ohne echte Freiheit. Ihre Umwelt meint es gut, doch sie ist von Regeln, Kontrolle und Ängsten geprägt – besonders von Verlustangst. Die Angst der Erwachsenen, sie könne Schaden nehmen, Fehler machen, überfordert sein, lässt ihr keinen Raum, selbst Erfahrungen zu machen. Klara darf nicht wütend sein, nicht trotzig, nicht lebendig. Also erstarrt sie. Und ihr Körper folgt dieser Erstarrung.
Manchmal sind es Kinderbücher, die uns zeigen, was in uns selbst verborgen liegt.
Die Geschichte von Heidi und Klara kennen viele aus der Kindheit. Doch sie ist weit mehr als ein nostalgisches Märchen. Sie erzählt von tiefem Schmerz, von übermäßiger Kontrolle, von Isolation – und von dem Wunsch nach Verbindung und Freiheit. Und sie berührt Themen, die bis heute aktuell sind: Verlustangst, emotionale Lähmung und der Wunsch, wieder ins Leben zurückzufinden.
Die Rolle der Verlustangst
Ob in der Kindheit, Partnerschaft oder im Umgang mit sich selbst – Verlustangst lähmt. Sie lässt uns klammern, kontrollieren, schützen, vermeiden. Und oft meinen wir es gut – doch wir verhindern Entwicklung.
Eltern, die ihr Kind überbehüten, weil sie Angst haben, es könnte scheitern
Partner:innen, die aus Angst vor dem Alleinsein zu kontrollierend werden
Menschen, die sich selbst nichts zutrauen, weil sie nie gelernt haben, dass Fehler sicher sind
Verlustangst will schützen – aber sie verhindert oft genau das, was wir uns wünschen: Nähe, Vertrauen, Wachstum.
Und dann kommt Heidi.
Ungefiltert. Direkt. Frei.
Heidi ist nicht perfekt – sie passt nicht in Klaras Welt. Aber sie bringt etwas mit, das dort fehlt: Vertrauen. Echtheit. Bewegung. Sie stellt Klaras Ordnung auf den Kopf – und genau das setzt einen Heilungsprozess in Gang. Heidi nimmt Klara ernst, aber sie hält sie nicht fest. Sie lässt sie ausprobieren, herausfinden, wachsen.
Und Klara? Sie fängt an zu glauben, dass sie darf. Dass sie kann. Dass sie nicht nur beschützt, sondern auch befreit werden darf. Und irgendwann steht sie auf – buchstäblich.
Was bedeutet das für uns heute?
Auch heute gibt es viele "Klaras". Menschen, die funktionieren statt fühlen. Die sich selbst nicht spüren. Die innerlich gelähmt sind von Ängsten, Erwartungen, Kontrollbedürfnis – manchmal von anderen, manchmal von sich selbst.
Konversionsstörungen, psychosomatische Beschwerden, emotionale Erschöpfung – all das sind Wege, über die unsere Psyche sagt: So geht es nicht weiter.
Was wir von Heidi & Klara lernen können
Lähmung ist oft ein Schutz.
Körperliche oder seelische Blockaden entstehen nicht grundlos – sie sind ein innerer Schutzmechanismus. Aber Schutz ist nicht gleich Sicherheit.Verlustangst lähmt Entwicklung.
Wenn wir ständig vermeiden, jemanden oder etwas zu verlieren, verlieren wir oft uns selbst. Vertrauen ist das Gegengift – nicht Kontrolle.Beziehung heilt mehr als Ratschläge.
Heidi "therapiert" Klara nicht. Sie ist einfach da. Und manchmal reicht das.Selbstwirksamkeit ist der Schlüssel.
Ob wir lernen zu laufen oder Entscheidungen zu treffen – wir brauchen Räume, in denen wir etwas selbst tun dürfen.Heilung ist kein Ziel – sondern ein Prozess.
Es muss nicht alles sofort wieder funktionieren. Aber der erste Schritt ist: überhaupt zu spüren, was fehlt.
Vielleicht bist du manchmal Klara.
Dann sei sanft mit dir.
Hör hin, wo du erstarrt bist.
Frag dich, was du festhältst – aus Angst, etwas zu verlieren.
Und finde heraus, wo du Freiheit brauchst.
Vielleicht trägst du aber auch Heidi in dir – den Teil, der Bewegung bringt, Leichtigkeit, Vertrauen. Auch wenn es chaotisch ist. Auch wenn du aneckst.
Wir brauchen beides: Verbindung und Raum. Halt und Freiheit.
Sylvia Wichmann
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