Die "Coco"-Methode: So stirbt die Liebe nie.
TRAUER


Die Verstorbenen mit an den Tisch holen und sich erinnern...
Als Trauerbegleiterin begegne ich oft der tiefen, schmerzhaften Stille, die ein Verlust in dein Leben reißt. Es ist die Stille der Abwesenheit, die Frage, wie man weiterlebt, wenn ein Teil von dir gegangen ist. Manchmal kommt die größte Weisheit, die uns hilft, diese Stille zu füllen, aus unerwarteten Quellen – zum Beispiel aus einem leuchtenden, farbenfrohen Animationsfilm: Pixars "Coco – Lebendiger als das Leben".
Dieser Film, der die mexikanische Tradition des Día de Muertos (Tag der Toten) aufgreift, ist weit mehr als eine schöne Geschichte. Er ist eine tief emotionale und zutiefst heilsame Lektion über Trauer, Liebe und die anhaltende Verbindung, die über den Tod hinausreicht.
Trauer verstehen: Der "Letzte Tod" und die Angst vor dem Vergessen
"Coco" führt uns in das pulsierende, wunderschöne Reich der Toten. Doch selbst an diesem Ort gibt es eine ultimative Angst: den "Letzten Tod". Dieser ereilt eine Seele erst dann, wenn niemand in der Welt der Lebenden sich mehr an sie erinnert. Das Vergessen ist die eigentliche Tragödie, nicht der physische Tod.
Was lehrt uns das über deine eigene Trauer?
Trauer ist die Kehrseite der Liebe. Der Schmerz, den du empfindest, ist ein direkter Beweis für die Tiefe der Bindung, die du hattest. Erlaube dir diesen Schmerz, denn er ist ein heiliger Raum.
Der Tod ist nicht das Ende der Beziehung (Die Theorie über Continuing Bonds). Die Existenz deines geliebten Menschen ist nicht an seinen Körper gebunden, sondern an deine Erinnerungen. Solange du seine Geschichten erzählst, seinen Namen aussprichst und ihn in deinem Herzen trägst, bleibt er Teil deiner Welt.
Die Angst vor dem Gefühlsvollbad: Warum wir den Schmerz annehmen müssen
Trauer kann sich anfühlen wie ein gewaltiges, unkontrollierbares Gefühlsvollbad – ein Tsunami aus Schmerz, Wut, Leere und überwältigender Sehnsucht. Und genau davor haben wir oft die größte Angst:
Die Angst vor dem Kontrollverlust: Du fürchtest, dass, wenn du dem Schmerz einmal Raum gibst, er dich verschlingt und nie wieder loslässt.
Die Angst vor der Ohnmacht: Du fühlst dich hilflos, weil du den Verlust nicht rückgängig machen kannst.
Doch "Coco" zeigt uns, wie wichtig es ist, sich zu erinnern und zu fühlen. Du kannst den Schmerz nicht umgehen; du musst ihn durchqueren, um auf der anderen Seite des Tunnels wieder Licht sehen zu können. Diese Gefühle sind kein Hindernis; sie sind der Wegweiser.
Deine Gefühle sind wichtig, um weiterzugehen. Nur wenn du den Schmerz, die Wut oder die Verzweiflung anerkennst, kannst du sie verarbeiten. Jede Träne ist ein Schritt zur Heilung, auch wenn es sich im Moment nicht so anfühlt.
Akzeptiere, dass es Momente geben wird, in denen die Angst und der Schmerz übermächtig sind. Das ist normal. Atme tief durch und wisse: Du bist stark genug, um diese Wellen zu reiten.
Die Verstorbenen in dein Leben integrieren: Die Kraft der Ofrenda
Im Zentrum des Día de Muertos steht die Ofrenda – ein Altar, geschmückt mit Fotos, Lieblingsspeisen und Gegenständen der Verstorbenen. Er ist die symbolische Brücke, die es den Seelen ermöglicht, einmal im Jahr in die Welt der Lebenden zurückzukehren.
Die Botschaft für die Trauerbegleitung ist klar: Du musst die Toten nicht loslassen, sondern neu integrieren.
Schaffe deinen eigenen "Altar der Erinnerung". Das muss kein physischer Altar sein. Es kann ein Erinnerungsritual sein:
Sprich über sie. Erzähle Anekdoten, auch die lustigen.
Pflege ein geliebtes Hobby oder eine Tradition, die sie geliebt haben.
Bewahre ihre Fotos nicht im Keller auf, sondern gib ihnen einen würdigen Platz in deinem Zuhause und in deinem Alltag.
Weiterleben mit ihnen: Das Konzept der "Continuing Bonds" (anhaltende Bindungen) besagt, dass eine gesunde Trauer nicht im "Loslassen" endet, sondern in der bewussten Fortsetzung der Beziehung in neuer Form. Die Liebe bleibt. Lass ihre Werte und ihren Einfluss in deinen Entscheidungen weiterleben.
Die universelle Sprache: Wie Musik Emotionen trägt
In "Coco" spielt Musik eine zentrale Rolle. Das Lied "Remember Me" ist der emotionale Anker, der die Wahrheit über Miguels Ururgroßvater aufdeckt und die entscheidende Erinnerung bei seiner Urgroßmutter Coco weckt.
Musik besitzt eine einzigartige Fähigkeit, direkt an unser limbisches System, das Zentrum unserer Emotionen und Erinnerungen, zu appellieren.
Musik als Erinnerungstür: Höre bewusst die Lieblingslieder deines geliebten Menschen. Sie können tief sitzende Erinnerungen wecken, die dich trösten und ein Gefühl der Nähe vermitteln, wenn Worte versagen.
Musik als Ausdruck: Manchmal ist die Trauer so überwältigend, dass wir sie nicht in Worte fassen können. Musik kann für uns sprechen. Sie kann dir erlauben, die Wut, die Sehnsucht und die zärtliche Liebe zu fühlen, ohne dass du dich erklären musst.
"Coco" lehrt uns, dass unsere Lieben nicht wirklich verschwunden sind, solange wir sie in unseren Herzen bewahren. Die Trauer mag ein schmerzhafter Weg sein, aber er führt uns zu einer tieferen Wertschätzung der Geschichten, die uns verbinden – der Geschichten, die uns zu dem machen, was wir sind.
Also lasst und die Verstorbenen in den Alltag integrieren, auch wenn es zu erst schmerzhaft erscheint - mit der Zeit fühlt es sich natürlicher an und das liebevolle Gedenken und die Verbindung überlagern die unendliche Trauer.
Sylvia Wichmann
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